Gibt es überhaupt noch irgendwas über das Bauhaus zu sagen? Haben wir nicht schon genug gesehen, gelesen, geschrieben? Wir alle kennen doch die wichtigsten Punkte dieser Architektur- und Designgeschichte. Wir kennen auf jeden Fall die berühmtesten Kunstwerke und Designklassiker. Immerhin die Namen von drei oder vier Bauhäuslern können die meisten von uns nennen; die Clevereren unter uns schaffen es vielleicht sogar auf ein Dutzend. Es gibt also eigentlich nichts Neues mehr zu erzählen.
Oder?
Ungefähr 1200 Schüler besuchten das Bauhaus Weimar, Dessau und Berlin. Wenn man dazu noch das viele Lehr- und Werkstattpersonal zählt, erhält man nicht nur eine unschätzbare Sammlung von Arbeiten und persönlichen Anekdoten, sondern kommt hoffentlich auch zu dem Ergebnis, dass zur Geschichte viel mehr gehört als nur ein paar Stühle und eine Wagenfeld Lampe.
Dass die meisten Bauhaus-Präsentationen einfach nur das reproduzieren, was wir alle schon längst wissen, liegt daran, dass es der leichteste Weg ist. Man glaubt eben, dass dies genau das ist, was die Öffentlichkeit will. Wenn man in eine öffentliche Bibliothek geht und wahllos ein Dutzend Bauhaus-Bücher durchblättert, wird man deshalb auch immer wieder die gleiche Geschichte finden, die einfach immer wieder anders erzählt wird.
Bauhaus: Art as Life in der Barbican Art Gallery London versucht da einen etwas anderen Ansatz. Die Ausstellung ist vielleicht nicht gerade revolutionär oder bahnbrechend, da sie wie andere auch für ein Massenpublikum konzipiert und dementsprechend mit den bekannten Klassikern gespickt ist, doch sie versucht das Bauhaus als das zu zeigen, was es wirklich war: ein großes Ferienlager – wenn auch ein Ferienlager, in dem Kreativität als eine Lebensart zelebriert und wie selbstverständlich Tag und Nacht praktiziert wurde. In der Tat könnte man beim Rundgang durch die Barbican Art Gallery irrtümlicherweise glauben, dass viele Bauhaus-Klassiker eher aus Versehen denn als Design kreiert wurden…
In zehn Abschnitte gegliedert, in denen die Geschichte des Bauhauses von den Anfängen in Weimar bis zum Ende in Berlin beleuchtet wird, ist Bauhaus: Art as Life eine wunderbar zugängliche und offene Ausstellung, die die Architektur der Barbican Art Gallery sehr geschickt nutzt, um das Bauhaus nicht nur als Produktionsstätte, sondern viel mehr als einen Ort der Feste, Leute und Freude zu zeigen. So wird dem Besucher das soziale Bauhaus ebenso deutlich wie das innovative Bauhaus und das Ausstellungskonzept präsentiert die Thematik mit einer selten gesehenen Frische und Tiefe.
Neben wunderbaren Exemplaren von Bauhausmöbeln, Textilien, Töpferwaren oder Spielzeugen, zeigt Bauhaus: Art as Life auch jede Menge gerahmter Arbeiten, wie Malereien, Skizzen, Fotos und – was wir besonders toll finden – Fotomontagen. Bauhaus-Fotomontagen amüsieren und beeindrucken uns nämlich immer sehr. Wir vermuten, das liegt daran, dass sie immer so aussehen als wären sie von Kindern gemacht. Das ist auch nicht weiter verwunderlich in Anbetracht der Tatsache, dass sie unbestritten mit einer kindlichen Faszination für den kreativen Prozess kreiert wurden; also mit großer Freude daran, etwas einfach auszuprobieren und zu sehen, was passiert.
Dieser Mut zu experimentieren und der eigenen Philosophie treu zu bleiben, ohne Rücksicht auf Konventionen und Volksweisheiten, ist fraglos das, was das Bauhaus ausmacht. Diese Eigenheit des Bauhauses macht Art as Life wunderbar deutlich.
Daneben ruft die Ausstellung das Gefühl hervor, dass das Bauhaus deutlich weniger egalitär war, als viele vielleicht glauben möchten. Dafür steckt in den gezeigten Stücken zu viel Selbstgefälligkeit…
Wie gesagt, glich das Bauhaus in vielerlei Hinsicht einem Ferienlager. Dieses Ferienlager scheint aber immer von einer kleinen Gruppe Bauhäuslern dominiert worden zu sein. Leute, die ihre Zelte in bester Lage aufgestellt und das leckerste Barbecue für sich reserviert hatten… Gehörte man nicht zu dieser erlesenen Clique, war das Camp nicht nur ein ziemlich einsamer Ort, sondern es bestand vor allem die Gefahr historisch nicht zu überleben. Vielleicht ist das nur unserem natürlichen Misstrauen gegenüber den coolen Kids geschuldet; unserem tiefsitzenden Argwohn, dass die Hauptfunktion sozialer Hierarchien nur darin besteht, uns das Gefühl zu geben, wir seien minderwertig und unsere Beiträge wertlos… Oder es ist tatsächlich so, dass das Bauhaus nur von einem relativ kleinen Kreis dominiert wurde.
Auch wenn dieser Gedanke – zumindest für uns – in vielen Exponaten zu erkennen ist, wird das Thema nicht aktiver in der Ausstellung angegangen. Aber das ist vielleicht gar nicht mal so eine schlechte Sache. So bleibt etwas in der Ausstellung offen, etwas, das man weiter erforschen und für sich reflektieren kann. Das ist wie mit einem guten Restaurant, das man nie zu aufgebläht verlassen sollte. Die Ausstellung lässt noch Raum für neue, bislang unbeantwortete Fragen, die es zu ergründen gilt.
Art as Life ist die erste Bauhausausstellung in Großbritannien seit 1968. Und fairerweise sollte gesagt werden, dass seitdem wahrscheinlich niemand den Mangel an solchen Ausstellungen bemerkt oder gar beklagt hat. Sind also Bauhausausstellungen überhaupt noch relevant? Nicht nur für Großbritannien, sondern allgemein? Wir glauben, ja.
Denn zu viel von dem, was wir heute als Bauhaus kennen, ist entweder kein wirkliches Bauhaus oder nur eine reduzierte und standardisierte Interpretation des Bauhauses. Die Gropius-Schule ist zu einer Marke geworden – und noch nicht mal eine besonders interessante oder faszinierende, sondern eher eine sichere Sache für alle nicht besonders Abenteuerlustigen. Das ist wirklich schade, weil das Bauhaus eigentlich alles andere als das war, und das macht Bauhaus: Art as Life ganz wunderbar klar.
Bauhaus: Art as Life kann – ja, sollte sogar! – bis zum 12. August 2012 in der Barbican Art Gallery in London besucht werden.
Und verpasst nicht unser Interview mit der Leiterin des Bauhaus-Archivs Berlin Dr. Annemarie Jaeggi
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